Die österreichische Wirtschaft hat ein ganzheitliches Modell vorgelegt, um die ambitionierten EU-Recyclingziele zu erreichen. Der sogenannte Zehn-Punkte-Plan ist volkswirtschaftlich kostengünstiger als alternative Modelle, vermeidet die Belastung von Konsumenten und Unternehmen und erfüllt darüber hinaus alle abfallpolitischen Zielvorgaben - nicht nur die vieldiskutierte Sammelquote für Kunststoffflaschen.
Das ganzheitliche Modell bezieht sowohl Betriebe als auch Haushalte und den Außer-Haus-Konsum mit ein und setzt an jenen drei Hebeln an, auf die es laut Experten ankommt: eine verbesserte Erfassung von Wertstoffen, die Optimierung der Sortierung sowie mehr Bewusstseinsbildung gegen Littering (Wegwerfen von Abfall im öffentlichen Raum).
Konkret haben die führenden heimischen Abfall-Experten einen Zehn-Punkte-Plan für eine alltagstaugliche Kreislaufwirtschaft entwickelt. „Dieser soll einerseits österreichweit ermöglichen, was jetzt schon in einigen Bundesländern funktioniert. Tirol, Vorarlberg und das Burgenland erfüllen etwa die 90 Prozent-Sammelquote, die laut EU-Vorgabe bis 2029 bei Kunststoffflaschen erreicht werden muss, schon jetzt. Das umfassende Konzept soll aber auch bei anderen Wertstoffen die Abfallsammlung und -verwertung deutlich erhöhen“, so Stephan Schwarzer, Leiter der Abteilung Umwelt- und Energiepolitik in der WKÖ.
EINHEITLICHE SAMMLUNG
Einer der Eckpunkte des Zehn-Punkte-Plans ist die österreichweit einheitliche Sammlung direkt in den Haushalten im gelben Sack oder in der gelben Tonne. Im Gewerbe können diverse Kunststoffe in vielen Fällen sortenrein erfasst werden. Am Ende muss es auch offene Verwertungspfade geben - gesetzliche Vorschriften sollen recyclingfreundlicher gestaltet werden. Einen besonderen Schwerpunkt bildet der Freizeitkonsum. Derzeit gibt es auf Spielplätzen, Wanderwegen und Radwegen oft nur einen Behälter für alle Abfälle, künftig soll es einen eigenen für Wertstoffe geben. Partymeilen müssen mit den entsprechenden Erfassungskapazitäten ausgestattet werden.
Um das Littering auszuschalten, braucht es überdies Aufklärungs- und Informationsmaßnahmen in Verbindung mit Abgabemöglichkeiten in zumutbarer Entfernung. Smarte Sammelbehälter könnten die Bereitschaft zur Rückgabe von Wertstoffen erhöhen. Diese mit Chips ausgestatteten Behälter erkennen Wertstoffe und schreiben für deren Rückgabe am Handy Bonuspunkte gut, die bei teilnehmenden Unternehmen eingelöst werden können.
60 MIO. EURO ERSPARNIS
Mit diesem umfassenden Zugang zur Ressourcenschonung könnte Österreich eine weit größere Wirkung erzielen als mit dem vieldiskutierten Einweg-Pfandsystem – und dabei noch Kosten im Ausmaß von mindestens 60 Millionen Euro pro Jahr einsparen. Das umfassende Konzept macht die Kreislaufwirtschaft für alle Konsumsituationen alltagstauglich, fördert die Ressourcenschonung und unterstützt den Klimaschutz.
Umweltministerin Leonore Gewessler hat indes Mitte September angekündigt, verbindliche Quoten für Mehrweggetränkeverpackungen im Handel festschreiben zu wollen. Bis 2023 sollen mindestens 25 Prozent, 2025 mindestens 40 Prozent und 2030 mindestens 55 Prozent Mehrweganteil vorgegeben werden. Darüber hinaus plant das Klimaschutzministerium im Rahmen eines Drei-Punkte-Plans die Einführung eines Einweg-Pfandsystems sowie einer Herstellerabgabe für die Erzeuger von Plastikverpackungen.
Der heimische Handel zeigt sich angesichts des präsentierten Drei-Punkte-Plans überrascht, dass im Vorfeld kein stärkerer Einbezug der betroffenen Betriebe erfolgt ist. Auch der Zeitpunkt der Bekanntgabe inmitten der Corona-Krise sorgt für Irritationen.
„Der österreichische Lebensmittelhandel ist gerne bereit, seine Anstrengungen zur Steigerung der Mehrwegquote bei Getränkeverpackungen zu intensivieren. Wir halten jedoch nichts von einer gesetzlich verpflichtenden Mehrwegquote. Diese würde vor allem in Kombination mit einem Einwegpfandsystem viele kleine Lebensmittelhändler stark belasten und damit die Nahversorgung gefährden“, ist Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will überzeugt.
GANZHEITLICHES MODELL
Zahlreiche kleine Händler, vor allem am Land, könnten die mit einem Pfandsystem verbundenen Kosten und Flächenverluste nicht verkraften. Die Folgen wären eine weitere Ausdünnung der Kaufkraft des ländlichen Raums sowie eine Erhöhung der CO2-Emissionen wegen längerer Autofahrten für den täglichen oder wöchentlichen Einkauf. Doch nicht nur kleine und mittelständische Händler hätten im Fall einer verpflichtenden Mehrwegquote massive Mehrkosten zu stemmen, auch die österreichischen Konsumenten müssten tiefer ins Börsel greifen.
„Wir erleben gerade die größte Wirtschaftskrise der zweiten Republik, Kaufkraft und Konsumlaune bewegen sich auf einem historischen Tiefstand. Da stellt sich aus Konsumentensicht schon die Frage, warum man gerade jetzt den Verbraucher noch stärker belasten und den täglichen Einkauf verteuern möchte“, meint Handelsverband-Vizepräsident Frank Hensel. Der Handelsverband unterstützt daher den Zehn-Punkte-Plan für eine alltagstaugliche Kreislaufwirtschaft der heimischen Wirtschaft. Dieser stellt ein ganzheitliches Modell dar, um die ambitionierten EU-Ziele zu erreichen.
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